Geschichte von Waidmannslust
Als im Jahre 1875 der Bauer Knobbe verstarb waren seine Erben gezwungen, einen Teil ihres Waldes von etwa 64 Morgen zu verkaufen. Der Hermsdorfer Gutsbesitzer Leopold Lessing schickte seinen von ihm angestellten Förster Ernst Bondick zu der Familie, um von diesen eine Parzelle am Fließ als Holzlagerplatz zu erwerben. Die Familie jedoch wollte das Landstück im Ganzen verkaufen, in der Annahme, dass sich Berlin nach der Reichsgründung 1871 als Kaiserstadt schnell entwickeln würde und sich die Stadt mit ihren Vororten im Norden über Reinickendorf hinaus bis nach Hermsdorf ausdehnen würde, kaufte Bondick schließlich selbst.
Bondick wurde wegen seines eigenmächtigen Handels von Lessing entlassen und musste sich nach einer neuen Einkommensquelle umsehen. Er errichtete ein Fachwerkhaus (Waidmannsluster Damm 144), schmückte den Eingang mir Reh- und Hirschgeweihen und eröffnete das Wirtshaus Waidmannslust.
Bondicks Hoffnung, einzelne Parzellen seines großen Besitzes an ansiedlungswillige Berliner zu verkaufen, erfüllte sich zunächst nicht. Seine einsame Gastwirtschaft war in Berlin unbekannt. Als die Nordbahn 1877, die nicht weit von Bondicks Gasthaus vorbei führte gebaut wurde, schöpfte er neue Hoffnung, doch hielten die Züge nur in Dalldorf und Hermsdorf, eine Haltestelle in Waidmannslust lohnte sich nach Meinung der Eisenbahndirektion nicht. Nach einer von Bondick durchgesetzten Verkehrszählung, gab die Eisenbahndirektion seinen Wünschen schließlich nach und richtete 1884 eine Haltestelle ein, Bondick musste den Bau des Gebäudes übernehmen. Es entstand nur ein einfaches Holzhaus und die Züge hielten auch nur nach Bedarf. Wer in Waidmannlust aussteigen wollte musste vorher dem Schaffner Bescheid sagen, und wenn jemand einsteigen wollte, winkte der Stationsvorsteher mit einer roten Fahne. Jetzt kamen nicht nur Gäste sondern auch Siedler. Nach und nach verkaufte Bondick Parzellen, und so entstanden in der Nähe des Bahnhofs Häuser, 1888 eine Lampenfabrik (Voltawerke) und auf der Anhöhe gegenüber der Haltestelle das Kurhaus Bergschloss für Kranke und Erholungssuchende.
Als Bondick 1892 starb, gab es in Waidmannlust ca. 70 Häuser und etwa 400 Einwohner, somit war der Ort bereits größer als das Bauerndorf Lübars. Waidmannlust dehnte sich von Jahr zu Jahr mehr aus, neue Häuser und Straßen entstanden und Waidmannlust wurde zu einem bekannten und beliebten Ausflugsort für die Berliner, viele Stadtbewohner begannen sich eine Parzelle zu kaufen und ein Wohnhaus zu errichten. Die Bebauung beschränkte sich bis 1900 fast ausschließlich auf das Gebiet westlich des Oraniendamms. An den Straßen entstanden zunächst kleinere Ein- und Zweifamilienhäuser, die anfangs tköeilweise nur im Sommer bewohnt waren, aber mit steigender Einwohnerzahl ließen sich auch Kaufleute nieder. Sie eröffneten Geschäfte für die Waren des täglichen Bedarfs, nun wurden Mietvillen und kleine Mietwohnhäuser gebaut, und dann größere Mietwohnhäuser vorstädtische und städtische Art. Der Ortsteil war bald eine Gemeinde für sich, dennoch gehörte er zu Lübars unter dem gemeinsamen Gemeindevorsteher Zabel-Krüger und später unter Raabe. Auf Grund ihrer Entstehungsgeschichte und der ganz anders gearteten Interessen der Bewohner waren die Orte grundverschieden. Wohnten in Waidmannslust ruhesuchende, von der Arbeit heimgekehrte Berliner, so lebten in Lübars alteingesessene Bauern- und Kossätenfamilien, und es gab manche kleine Fehde zwischen ihnen.
Für die Kinder der ersten Ansiedler war die Dorfschule in Lübars zuständig. Jedoch war sie nur nach einem 3 km langen Fußweg zu erreichen. Die Bitte, eine eigene Schule in Waidmannslust zu gründen, wurde von den Lübarser Bauern, deren Vertreter damals noch die Mehrheit in der Gemeindevertretung besaßen abgeschlagen, doch dank der Bemühungen des Vereins zur Hebung des Gemeindewohls von Waidmannslust wurde 1892 die erste Schule eingeweiht. Mit den Anfängen der Schule ist auch der Beginn der evangelischen Kirche verbunden. Kirchlich gehörte Waidmannslust zunächst zu Lübars, doch da der Weg nach Lübars immerhin eine ¾ Stunde dauerte, besuchten die Waidmannsluster nur selten den Gottesdienst. Bald wurde der Gottesdienst in einem eigens hergerichteten Betsaal in der Schule abgehalten. 1905 wurde ein Kirchenbauverein gegründet, so dass am 12.10.1912 der erste Spatenstich für den Bau der Königen Luise Kirche erfolgte.
Auch wenn Waidmannslust bis 1920 gemeinderechtlich ein Teil der Landgemeinde Lübars war, verlagerte sich das Schwergewicht der Verwaltung doch allmählich hierher: die Ansiedler bildeten Vereine um das gesellschaftliche Leben im Ortsteil zu fördern und ihre Interessen gegenüber den Lübarsern Bauern durchzusetzen. Daneben gab es den Grundbesitzerverein, einen Mieterverein, einen Kriegerverein und noch viele weitere. Ferner bestand seit August 1899 eine Freiwillige Feuerwehr. All diese Vereine führten jährlich ihre Stiftungsfeste und Bälle durch, so dass sich ein Gemeinschaftsgefühl entwickelte. Festlicher Höhepunkt des Gemeindelebens war 1895 die gemeinsame Pflanzung der Bismarkeiche.
Langsam entstand die kommunale Infrastruktur von Waidmannslust. Seit 1910 lieferte das Gaswerk der Gemeinde Tegel Gas, 1909 wurde ein Wasserleitungsnetz verlegt, 1912 erhielt Waidmannslust zusammen mit Hermsdorf elektrisches Licht. 1914 wurde die Abwasserkanalisation in Betrieb genommen. Es erschienen zwei Zeitungen: Möllers Zeitungsverlag GmbH und als Konkurrenz die Hermsdorf-Waidmannsluster Zeitung.
Nach einer durch den Krieg und die anschließende Inflationszeit verursachten Baupause beschleunigte sich der Wachstum des Ortes, auch durch die Verbesserung der Verkehrsverhältnisse; seit Juni 1925 verkehrte auf der Nordbahnstrecke die S-Bahn, 1926 wurde u. a. eine Autobuslinie eingerichtet.
Im Baustil der Neuen Sachlichkeit wurden 1928 die Mehrfamilienhäuser der Siedlung „Freie Scholle“ von Bruno Taut errichtet und von 1925 bis 1933 erfolgte die Bebauung des Gebiets östlich des Bahnhofs, so dass Lübars und Waidmannslust wieder näher zusammenrückten. Zum Ausgleich der fortschreitenden Bebauung plante das Bezirksamt dauerhafte Freiflächen und begann mit dem Ankauf von unbebautem Gelände, wie 1924 das Steinberggelände. Gegen Ende des II. Weltkrieges zogen am 22.04.1945 die sowjetischen Truppen vom Norden her in Waidmannslust ein und ließen neben den üblichen Plünderungen
schnellstens alle wichtigen und intakten Maschinene in die Sowjetunion abtransportieren. Im August 1945 übernahmen die Franzosen den Bezirk und beschlagnahmten mehrere Villen. Auf einem ehemaligen Industriegelände nahe des S-Bahnhofes wurde ein Wohngebiet, die Cité Foch, für die Angehörigen der französischen Besatzungs- und späteren Schutzmacht gebaut. Wegen Material- und Geldmangel konnten die kriegsbeschädigten Häuser nur schleppend instand gesetzt werden, die ersten größeren Neubauvorhaben starteten 1953, später wurden Reihenhäuser erbaut, der letzte große Siedlungskomplex entstand von 1966-72, die Rollbergsiedlung, hiermit sollte Abhilfe für den fehlenden Wohnraum nach dem Bau der Berliner Mauer geschaffen werden.
Langsam erholten sich die Gewerbebetriebe von den Folgen des Krieges. Im Oraniendamm und in der Nähe ansässige Fabriken und Unternehmen wurden langsam wieder aufgebaut sowie der 1959 gegründete mittelständige Betrieb Max Gierke & Söhne Bauunternehmungen GmbH im Oraniendamm 32, die gerade sein 50jähriges Bestehen feierte.
Seit Anfang der 1980er Jahre bis zum Frühjahr 2000 befand sich im Haus Düsterhauptstr. 1 das weit über Waidmannslust hinaus bekannte Restaurant von Siegfried Rockendorf.
Bondicks Hoffnung, dass sich Berlin im Norden ausdehnen würde, hat sich erfüllt. Zählte Waidmannslust 1886 nur 25 Einwohner leben heute hier ca. 10.056 Einwohner.
Quellen:
Wappen Waidmannslust - Foto
Kurhaus Bergschloss - Foto
Lampenfabrik - Foto
Gasthaus Waidmannslust - Foto
Schule Waidmannslust - Foto
Nordbahnstrecke Waidmannlslust - Foto
eigene Recherchen